Mein Ötztaler 2013 – Teil 5: Zielsprint

Gegen 16:30 Uhr, nach ca. 9:45 Stunden Rennzeit erreiche ich Schönau, wo ich noch einmal meine Wasserflasche und Energiereserven auffülle. Zum ersten Mal versuche ich mich nicht länger als nötig an der Labe aufzuhalten – noch knapp eine Stunde über das Steilstück bis zum Tunnel quälen, dann 15 -20 Minuten bis zur Passhöhe, samt kurzer Pause um die Adjustierung für die Abfahrt herzustellen, dann noch ca. 40 – 45 Minuten ins Ziel. Es wird knapp, aber inzwischen erscheint es möglich doch unter 12 Stunden zu finishen und somit die letztjährige Zeit zu verbessern.

Nach der kurzen Pause geht es mir plötzlich bestens – das muss sie wohl sein, die berühmte zweite Luft. Ich fühle mich gut und kann einige andere Radfahrer hinter mir lassen, bis ich auf ein paar Kollegen treffe, deren Tempo ich dann mitgehe, um nicht mein ganzes Pulver zu verschießen. Ein paar Körner möchte ich mir für die letzten Serpentinen noch sparen.

So gut es mir inzwischen wieder geht, es wäre gelogen zu sagen, dass diese letzten Höhenmeter nicht weh tun würden. So kurz vor dem Ziel, mit noch knapp drei Stunden bis zum Zielschluss in Sölden, weiß ich aber, dass nichts mehr schief gehen kann – jetzt könnte ich mein Rad über den letzten Anstieg schieben und ich würde trotzdem mein Finisher Trikot abholen können. So weit kommt es aber nicht – jede Pedalumdrehung bringt mich meinem Ziel näher und auch im Jahr 2013 muss ich keine einzige Welle fahren um das letzte Steilstück, die letzten drei Serpentinen, zu überwinden.

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Obwohl mir in meinem kurzärmligen Trikot schon leicht kalt ist, radle ich gleich weiter – ich möchte erst wieder die Grenze nach Österreich passieren und vor dem letzten, kurzen Anstieg zur Passhöhe die Jacke anziehen. So habe ich zumindest zwei Minuten, um vor den letzten Höhenmetern und der anschließenden Abfahrt kurz durchzuschnaufen.

Ich blicke auf die Uhr und traue meinen Augen nicht – erst 17:45 Uhr, keine 11 Stunden absolviert. Ich weiß, dass ich, wenn alles normal läuft, nur mehr maximal 50 Minuten bis ins Ziel benötige. Unter 12 Stunden – nachdem es aufgrund der Umstände so lange nicht danach ausgesehen hat, dass eine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr möglich wäre, dürfte die Form doch gepasst haben. Jaufenpass und Timmelsjoch scheinen doch ganz gut geklappt zu haben.

Durch diesen Umstand motiviert kratze ich die letzten Energiereserven zusammen – ich überquere die Passhöhe, stürze mich in die Abfahrt und versuche so viel Geschwindigkeit wie möglich in den Gegenhang zur Mautstation mitzunehmen. Mein Puls ist am Anschlag, die Muskeln brennen, aber ich gebe nicht nach. Nur mehr wenige Meter und die Abfahrt Richtung Sölden geht weiter. Ich will nicht im Ziel ankommen und mir sagen müssen, ich hätte noch Reserven gehabt.  Ich will jetzt alles aus mir herausholen.

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Im etwas flacheren, nur leicht abschüssigen Straßenstück bei Obergurgl gebe ich nochmal alles. Es gelingt mir sogar, noch andere Radfahrer abzuschütteln, so dass diese aus meinem Windschatten fallen. Es geht weiter bergab und ich mache mich so klein wie möglich, um dem Wind möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Ich weiß, dass nur mehr der kurze Anstieg bei Zwieselstein auf mich wartet, diese wenigen hundert Meter heißt es noch einmal beißen. Die letzten Kurven nach Sölden hinein sind ein Genuss und nach 11:37:36,1 Stunden überquere ich die Ziellinie. Der Käpt`n, acht Minuten vor mir im Ziel angekommen, wartet schon auf mich – ich bin erledigt, aber stolz und unheimlich glücklich.
(St. Leonhard – Timmelsjoch: 02:56:54,8; Timmelsjoch – Ziel: 00:37:44,2)

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Für knapp 1000 Radsportler ist ihr Traum in diesem Jahr geplatzt – unter diesen Bedingungen ist das alles andere als eine Schande, ich ziehe vor allen Startern den Hut, die es bei diesem Wetter überhaupt versucht haben.
Für alle anderen knapp 2400 Finisher fehlen mir die Worte – unglaubliche Leistungen, die an diesem Tag vollbracht wurden. Mein allergrößter Respekt an alle, die das Ziel in der Zeit erreicht haben und sich 2013 ihren Traum erfüllen konnten. Dies wird wohl einer der legendärsten Ötztaler bleiben – „Heldenwetter“ und ihr alle habt es ins Ziel geschafft!

Es freut mich dieses Projekt mit meinem Käpt`n zu einem erfolgreichen Ende gebracht zu haben. Es war anstrengend, mühsam, hart, stressig, unheimlich lehrreich, es hat mich an meine Grenzen und teilweise darüber hinaus geführt, aber so sehr sich viele der beschriebenen Dinge nach Quälerei und Schmerz anhören, so überwiegen doch die positiven Dinge: die Freude am Sport, das tolle Gefühl seine Grenzen immer weiter zu verschieben, die Kameradschaft und das Training mit Freunden und Gleichgesinnten, alle gesammelten Erfahrungen und Eindrücke der letzten Wochen und Monate, beginnend beim Training auf Mallorca, über die Vorbereitungsrennen, das Camp in Tirol bei Coach M und mit dem Team Kaiserschmarrn… der Radsport verlangt viel von dir, aber er gibt dir noch mehr zurück.

Ob ich 2014 wieder starten werde? Ich weiß es nicht, es gäbe ja noch genug andere Herausforderungen und Ziele, die man verwirklichen könnte. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich irgendwann noch ein drittes Finisher Trikot meiner Sammlung hinzufügen werde.

Gregor, mein Freund und Käpt’n: Diesen Weg haben wir gemeinsam geschafft – diesen Tag wird uns niemand mehr nehmen – dieser Tag wird uns bis zu unserem Alzheimer in Erinnerung bleiben – dieser Tag wird uns unser Leben lang verbinden.

Mein Ötztaler 2013 – Teil 4: Das Mysterium der Dschungelgurke

Nach 7:28 Stunden haben wir den Jaufenpass erreicht. Für die Abfahrt hinunter in Richtung St. Leonhard gilt vor allem im oberen Abschnitt eine Faustregel: im Wald ist die Straße schlecht, sonst kann man’s krachen lassen. Bei unserer Inspektionsfahrt Anfang August war die Straße aber mehr als schlecht, ziemlich löchrig und in vielen Kurven mit tiefen Längsrillen, die einem gefährlich werden konnten. Zumindest diese Längsrillen wurden in den Wochen vor dem Ötztaler noch ausgebessert und so befindet sich die Passstraße, bis auf ein paar kürzere Abschnitte, derzeit eigentlich in einem relativ brauchbaren Zustand, um bergab die Bremsen ein wenig schonen zu können. Leider werden wir unten heraus etwas vom „Verkehr“ der anderen Teilnehmer gebremst – völlig egal solange man gesund unten ankommt.

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St. Leonhard: weltbeste Kurvenstudie aller Zeiten!

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Das Wetter in St. Leonhard könnte im Vergleich zum Kühtai nicht unterschiedlicher sein – Südtirol präsentiert sich von seiner Sonnenseite. So bleiben wir also stehen und ziehen Jacke und Ärmlinge aus, ja wir können sogar so viel Gewand los werden, dass wir an die Kapazitätsgrenzen unserer Trikottaschen stoßen. Die Sonne brennt herunter und es hat über 30 Grad als wir den Anstieg zum Timmelsjoch beginnen.
(Jaufen – St. Leonhard: 00:34:53,0)

Wir passieren den Kontrollpunkt und hinauf geht es in Richtung Timmelsjoch – die letzte und härteste Prüfung nach über 170 absolvierten Kilometern. Schon am Anfang, noch bevor es in das erste Steilstück bei Moos geht, bin ich wieder auf mich alleine gestellt. Der Käpt`n fragt, ob es mir eh nichts ausmacht, wenn er hier am letzten Berg schaut was für ihn drinnen ist. Er dreht sich um, ich nicke kurz und schon ist er weg. Ich frage mich wie viel Zeit er mir wohl abnehmen wird und rechne mit ca. 30 Minuten.

Kurz nach Moos ereilt mich ein schlechtes Gefühl: Hunger. Um den Magen zu schonen habe ich doch tatsächlich zu wenig gegessen. So schnell wie sich das Hungergefühl einstellt, so schnell ist es auch um mich geschehen – die Kraft schwindet und der Tritt wird immer schwerer. Ich verzehre den am Jaufenpass in den Trikottaschen gebunkerten Proviant und genehmige mir zusätzlich noch ein Gel, um mich möglichst schnell wieder halbwegs zu erholen. Die nächsten Minuten kommen mir vor wie eine Ewigkeit, jede Pedalumdrehung wird zur Kopfsache. So ein Hungerast ist nie etwas lustiges, aber ausgerechnet im Steilstück einzugehen ist doppelt bitter. Wenigstens werde ich gerade jetzt von Pedro angerufen wie es mir so geht – ich bin ein wenig von dem momentanen Einbruch abgelenkt und keuche ihm ein paar Minuten den aktuellen Status in mein Headset. Ich versuche diese Phase so gut wie möglich hinter mich zu bringen und mich irgendwie in die flacheren Passagen vor der Labestation Schönau zu retten. Zum Glück wirkt meine Notfallration dann relativ schnell und zumindest ein paar Prozent der Kraft kehren in meine Beine zurück. Lieber Gerrit Glomser – retrospektiv kann das nur an der Banane liegen!!!

Morgen: Die letzten Kraftreserven werden mobilisiert oder warum der Weg das Ziel ist und nicht das Ziel der Weg

Mein Ötztaler 2013 – Teil 3: Der Sonne entgegen…

Weiter geht es in Richtung Brenner und unsere Stimmung erhellt sich im gleichen Ausmaß wie das Wetter. Unglaublicherweise stimmen die Vorhersagen, und im Vorbeifahren wird uns von ein paar Zuschauern schon zugerufen, dass in Südtirol die Sonne scheint – Halleluja. Die ersten Sonnenstrahlen des Tages tun ihr Übriges dazu, dass das Thema Aufgabe für diesen Tag gänzlich vom Tisch ist.

Kurz nach Innsbruck nehme einen Riegel aus meinem Trikot und will mir ein paar Kalorien zuführen – das wird nur deswegen etwas komplizierter, da der Riegel offensichtlich noch ein wenig gefroren ist. Eßbar ist das Ding aber trotzdem. Sorge bereitet mir nur, dass wir uns in kein Feld einreihen können, welches uns vom Tempo her entgegenkommt und unseren Plan, sich kraftsparend im Windschatten Richtung Südtirol ziehen zu lassen, ein wenig ad absurdum führt. Eigentlich egal, weil es sowieso nicht mehr um die Ankunftszeit geht, manchmal aber auch nervig, weil die Beine doch ein wenig mehr hergeben würden. Dem Käpt`n geht es genauso und auch wenn ich versuche ihn zu bremsen übernimmt er schlussendlich doch ein wenig die Führungsarbeit bis es zum Zusammenschluss mehrerer kleiner Gruppen zu einem größeren Feld kommt und wir uns wieder vornehm zurückhalten können.

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Insgesamt kommt uns das Tempo nicht wirklich überragend schnell vor – dieser Eindruck wird dann auch von der Zeit bestätigt und wir erreichen nach knapp 5 Stunden die Paßhöhe am Brenner. Den Abschnitt Innsbruck – Brenner bewältige ich somit um eine Minute langsamer als im Vorjahr.
(Innsbruck – Brenner: 1:28:12,0).

Die gute Nachricht zu diesem Zeitpunkt: der Magen, der ja letztes Jahr mein Spielverderber war, macht keinerlei Anstalten irgendwie zu krampfen. Wir halten an der Labestation und wieder gibt es ein Menü aus Cola, ein paar Stück Kuchen und einem Becher Suppe. Viel Mehr muss es nicht sein, weil schon nach der Abfahrt unsere persönliche Verpflegungsstation – auch mit trockener Wäsche – auf uns wartet. Nach einer weiteren stressbefreiten Pause setzen wir uns wieder auf unsere Räder. Die Abfahrt auf der inzwischen aufgetrockneten Straße verläuft problemlos. In Gasteig, einen Kreisverkehr vor der Auffahrt zum Jaufenpaß, wartet mein Vater schon auf uns. Ein schneller „Boxenstopp“ und nach ein paar Minuten geht es mit trockenen Trikots und frischen Reserven weiter. Ein herrliches Gefühl, denn die nassen Füße spüre ich zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr.  Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet der Stopp natürlich wieder einen Zeitverlust und so bin ich schon knapp 25 Minuten hinter meiner Zwischenzeit im Jahr 2012.
(Brenner – Gasteig: 0:50:37,7)

Die nächsten Höhenmeter bergauf warten schon auf uns: der Jaufenpass, die vorletzte Prüfung des Tages. 16 herrliche und  gleichmäßige Kilometer. Ich weiß gar nicht richtig warum, aber ich mag diese Straße, nicht zu steil, nicht zu flach – das Profil kommt mir irgendwie entgegen. Trotzdem tritt ein, womit ich schon vor dem Rennen gerechnet hatte: bis hierher kann ich mit dem Käpt`n mithalten ohne mich zu verheizen, jetzt muss ich ihn aber ziehen lassen um ins Ziel zu kommen.

So fahren wir beide unser eigenes Tempo und es dauert nicht lange bis ich den Käpt`n aus meinem Blickfeld verliere. Zu diesem Zeitpunkt rechne ich hoch, dass ich bei ca. 7:30 Stunden die Passhöhe erreichen sollte, was in meiner Kalkulation eine Endzeit rund um die 12:15 Stunden bedeuten würde. Schlechter als im Vorjahr, aber immerhin…

Trotz allem bin ich nicht schlecht unterwegs, im Gegenteil, die Beine funktionieren, ich finde meinen Rhythmus und je näher ich der Passhöhe komme, umso mehr Teilnehmer überhole ich auf meinem Weg nach oben. Erstmals an diesem Tag bin ich mir ziemlich sicher, auch dieses Jahr mein Finisher Trikot abholen zu können. Die schlechte Witterung der ersten paar Stunden fordert trotzdem bei einigen Mitstreitern ihren Tribut: Nässe und Kälte haben viel Energie gekostet und so sehe ich dieses Jahr schon am Jaufenpass einige Kollegen, die Krämpfe haben und/oder ihr Rad bergauf schieben müssen. Einige andere kommen mir überhaupt schon wieder entgegen – sie mussten aufgeben.

Bei der Labestation angekommen wartet der Käpt`n auf mich, der mit seiner Verpflegung schon wieder fertig ist. Er entscheidet sich dafür noch ein paar Minuten auf seinen getreuen Wasserträger zu warten, der sich seinerseits wieder mit dem bewährten Menü aus Cola, Kuchen und Suppe stärkt. Entgegen der Ratschläge eines ehemaligen Radprofis fasse ich auch noch eine Banane aus („die bringt nix – is nix drin – gibt’s bei Rennen nur weil’s billig is – genau wie Melonen…“) und auch ein Müsliriegel soll später noch wertvolle Dienste leisten. An der Passhöhe angekommen genehmige ich mir ein Kohlenhydratgel, das den Einstieg in die Steigung zum Timmelsjoch erleichtern soll. Wir ziehen unsere Jacken an und beginnen die über 20 km lange Abfahrt nach St. Leonhard
(Gasteig – Jaufenpass: 01:38:51,0)

Morgen: die oben erwähnte Banane hat ihren großen Auftritt.

Mein Ötztaler 2013 – Teil 2: Kühtai extrem

Ötz – Kreisverkehr – rechts abbiegen – es geht bergauf. Ab jetzt gilt`s, ab jetzt müssen die Beine mitspielen – aber Nässe und Kälte tragen ihren Teil dazu bei, dass ich nur recht schleppend auf Betriebstemperatur komme und irgendwie fühlen sich meine Haxen nicht 100%ig frisch an. Aufgrund der in den letzten Marathons gewonnenen Erfahrung, dass mit Fortdauer des Bewerbs mein linker Oberschenkel verhärtet, versuche ich von Beginn an darauf zu achten, halbwegs ausgeglichen zu pedalieren und ein wenig mehr Druck rechts zu geben. Das Ungleichgewicht resultiert aus meinen Knie-Beschwerden und dem fehlenden vorderen Kreuzband rechts – unbewusst entlaste ich das beschädigte Gelenk, was bei längeren Distanzen naturgemäß zu Problemen führt.

Nach der ersten Rampe machen der Käpt`n und ich die erste kurze Pause um uns einer Schicht unserer Kleidung zu entledigen – es regnet zwar immer noch in Strömen und natürlich wird es mit jedem Höhenmeter kühler, die Anstrengung sorgt aber dafür, dass uns warm genug wird, auch wenn wir sehr dosiert Richtung Kühtai fahren. Zu viele Kilometer stehen uns noch bevor, jedes gesparte Körnchen Energie kann uns am Ende helfen und Zeitstress haben wir an diesem Tag sowieso nicht. Zwischendurch werden wir  von einem Mitfahrer, an dem wir vorbei ziehen, noch mit „Seid’s es net die Kaiserschmarrn-Partie?“ angesprochen – unter all den Startern sind wir zufällig an jenem Kollegen vorbei, den wir schon Anfang Juli bei unwirtlichen Bedingungen am Hochkar getroffen haben.

Motiviert durch unseren Wiedererkennungswert und unserer „15 Seconds of Fame“ erreichen wir das kurze Flachstück bei Ochsengarten, quasi die Ruhe vor dem Sturm. Die erste Härteprüfung mit bis zu 18% Steigung erwartet uns – das steilste Stück Straße auf den gesamten 238 Kilometern. Schon vorher kamen uns etliche Teilnehmer entgegen, die wohl aufgrund der Bedingungen das Handtuch werfen mussten. Wir verschwenden keinen Gedanken daran aufzugeben und nehmen auch diese Hürde ohne größere Schwierigkeiten. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass die Tagesform in Ordnung ist. Trotz seiner Verkühlung gewinne ich zudem den Eindruck, dass der Käpt`n in Überform ist – er spielt sich richtig bergauf und während mein Puls im Steilstück schon am Maximum anschlägt, wirkt es bei ihm so als ob er Kühtai im Grundlagenausdauerbereich erreichen würde.

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Nach 2:15 Rennzeit erreichen wir die Paßhöhe – im Vergleich zum Vorjahr fast gleich schnell, wir haben also sowohl die langsamere Abfahrt, als auch die Pause bergauf kompensiert, was bedeutet, dass ich netto um ca. 5-6 Minuten schneller war als 2012. An der Labestation Kühtai stärken wir uns mit Kuchen, Tee und Suppe. Wir sind komplett durchnässt und frieren bei 1 Grad plus. Erstmals stellen wir gemeinsam fest, dass man für so etwas wie heute wahnsinnig sein muss. Da kann man nicht normal sein, das ist grenzwertig oder schon darüber. Mit diesem Eingeständnis stürzen wir uns in die Abfahrt Richtung Innsbruck. Wenn wir nur annähernd geahnt hätten was in diesem Abschnitt auf uns zukommen sollte…
(Ötz – Kühtai: max. 18 %; 1200 HM; 18,5 KM – 1:29:21,9).

Kühtai – Kematen – hinab durchs Sellrain. Schon bei schönem Wetter ist das eine nicht ganz ungefährliche Abfahrt. Kuhgatter, teilweise schlechter und löchriger Asphalt sowie eine extrem steile Passage mittendrin.

So fahren wir also los und schon nach kurzer Zeit dürfen wir erstmals unsere Bremsen testen, als vor uns eine Kuh den Weg versperrt. Nur ein paar Minuten weiter muss ich dann in einer Lawinengalerie stehen bleiben. Trotz langer Handschuhe sind die Finger schon ein wenig gefroren, sodass ich sie nicht mehr wirklich spüre. Ich versuche die Hände kurz aufzuwärmen, scheitere kläglich und schaffe es beinahe nicht mehr die Handschuhe auch wieder anzuziehen, da mir jedes Gefühl abhandengekommen ist.

Egal, wir müssen weiter. Die Sicht ist schlecht, die Brille beschlägt und ist voller Regentropfen, die Hände sind gefühllos und ich muss laufend in Richtung meiner Bremsgriffe schauen, ob die Finger ohnehin noch am Griff sind. Die Nässe verzögert die Bremswirkung zusätzlich, sodass man sich manchmal gar nicht sicher ist ob man überhaupt bremst. Nach einiger Zeit beginne ich auch noch zu zittern und es wird immer schwieriger den Lenker richtig gerade zu halten. Im steilsten Stück bremsen der Käpt`n und ich was das Zeug hält – wir wollen ja keine Geschwindigkeit aufnehmen, weil wir uns nicht sicher sind ob wir in dieser abschüssigen Passage unser Tempo überhaupt noch einmal reduzieren können. Ich halte mich selbst ja für einen ziemlich sicheren, schnellen und nicht übertrieben vorsichtigen Abfahrer, aber unter diesen Umständen will ich einfach nur gesund unten ankommen. Für mich gänzlich unverständlich sind deshalb einige andere Teilnehmer, die offensichtlich kein Problem damit haben ihr Leben zu riskieren. Noch schwachsinniger, als diese Passage bei diesem Wetter ohnehin  in Angriff zu nehmen.

Unten heraus kommt langsam das Gefühl wieder in die Finger zurück – das Zittern bleibt aber. Es sind Minuten, in denen ich mir ernsthaft überlege, was ich da mache und warum. Wenn der Käpt`n jetzt sagt, dass es keinen Sinn macht – ich bin bereit aufzuhören. Vorausgesetzt ich kann ihm antworten, da ich vor lauter Zittern kein Wort hinausbekomme. Auf der anderen Seite bin ich mir sicher, wenn ich vorschlage aufzuhören wird auch der Käpt`n froh sein. Ich weiß nicht warum, aber wir schieben diesen Moment immer weiter hinaus. Wir sind offensichtlich noch nicht zu 100% an unseren Grenzen angekommen und fahren einfach weiter. Wir kommen in Innsbruck an und biegen Richtung Brenner ein. Der Regen nimmt langsam aber sicher ab, genauso wie mein Zittern…

(Kühtai – Innsbruck – 1:15:00,2 – 18 Minuten langsamer als 2012)

Morgen: die Straße trocknet, die Füße bleiben naß und eine Banane kommt ins Spiel…

Mein Ötztaler 2013 – Teil 1: Rise and Shine

Der Wecker läutet. 4:30 Uhr früh und erstmals stellt sich die Sinnfrage. Wieder schlecht geschlafen, trotz oberflächlich nicht vorhandener Nervosität hatte das Unterbewusstsein etwas dagegen, dass ich es ausgeruht an den Start schaffe. Egal. Raus aus den Federn und ab zur Morgentoilette. Hier nehme ich ihn erstmals am Fenster zur Außenwelt wahr –den heftigen Regen, der den Tag noch so prägen würde.

Frühstück um 5:00 Uhr – die Gemütslage ist angespannt, Lockerheit ist etwas anderes. Noch immer bin ich mir nicht 100%ig sicher, ob der Käpt`n aufgrund seiner Verkühlung bei diesem Wetter überhaupt an den Start gehen würde. Das Ziel unter 10 Stunden zu finishen habe ich schon abgeschrieben, der neue Plan ist einfach so weit wie möglich zu kommen. Retour im Zimmer erwartet mich eine Nachricht des Käpt`n: „I waß net“ (Anmerkung für meine des Wienerischen nicht mächtigen Leser: „Ich weiß nicht“). Leichte Panik – nach seinen Zweifeln des Vortages, ob ein Start Sinn machen würde, macht sich die Befürchtung breit, dass die Verkühlung doch seinen Start verhindert. Es gab nur eine einzige, mögliche Antwort: „I scho – du fährst“.

Und so finden wir uns um 6:30 Uhr in der Startaufstellung ein. Hunderte Startberechtigte verzichteten bei diesem Wetter vorab darauf anzutreten – zu kalt, zu verregnet, zu gefährlich. Ein absolut verständlicher Zugang zu einem Bewerb, der uns zwar an unsere Grenzen bringen soll, aber es nicht wert ist seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Warum also entschied ich mich zu fahren? Ich hatte zu viel investiert um es nicht zumindest zu versuchen. Hier geht es absolut nicht um die finanzielle Komponente dieses Vorhabens, sondern einfach darum dass der Käpt`n und ich seit Monaten auf diesen Tag hintrainiert hatten. Wir haben so viel Zeit und Energie in dieses Projekt gesteckt, dass ich einfach nicht bereit war schon vor dem Start aufzugeben.

Als um Punkt 6:45 Uhr der Kanonenstart für alle Teilnehmer ertönt, ist mein Puls wieder einmal in ungeahnten Höhen – 125 Schläge pro Minute, einfach nur beim Stehen. Ich kann es gar nicht erwarten mich endlich in Bewegung zu setzen, damit sich dieser Zustand wieder normalisiert. Überraschenderweise gibt es dieses Jahr nur einen Startblock und statt 15 Minuten darauf warten zu müssen los zu radeln, geht es plötzlich schnell – der Käpt`n und ich dürfen los. Offensichtlich wollte man uns Teilnehmer nicht unnötig in Regen und Kälte stehen lassen, eine gute Entscheidung der Organisatoren. Wir blicken in die sorgenvollen Gesichter unserer Begleiter und radeln los, in die Ungewissheit der nun folgenden 238 Kilometer… sportograf-42115296 Wie immer herrscht im Feld anfangs Nervosität und es dauert ein wenig bis sich die Dinge sortiert haben. Ein paar Teilnehmer riskieren trotz der Bedingungen viel und glauben offenbar,  das Rennen gleich auf den ersten Kilometern zu gewinnen. Der Käpt`n und ich halten uns wie vereinbart an die alte Weisheit „bergab gewinnst du kein Rennen, bergab kannst du’s höchstens verlieren“. Es soll  weder ein Rennen gegen die Uhr sein, noch geht es darum eine bestimmte Platzierung zu erreichen, wir wollen einfach schauen, wie lange wir bei diesem Wetter durchhalten können, im Optimalfall natürlich bis ins Ziel.

Es schüttet wie aus Kübeln, da helfen auch keine Überschuhe und schon nach kurzer Zeit steht das Wasser in den Schuhen. Positiv motivierend rufe ich dem Käpt`n zu, dass wir nur mehr knapp 11 Stunden nasse Füße haben werden. Er nimmt es mit Humor und fragt mich zum wiederholten Male „ob des a guade Idee war?“ Wir halten uns aus allen Positionskämpfen raus und versuchen genug Abstand zu den Vorderleuten zu halten, bei denen wir viele verschiedene, äußerst kreative Varianten sehen, wie man sich als Radfahrer gegen das Wetter schützen kann – oftmals sind es einfach Müllsäcke, die angezogen werden. Soviel zum Thema „Hightech im Radsport“…

Um auf Nummer sicher zu gehen verzichten wir stellenweise sogar etwas auf Windschatten. Der Rest des Weges bis Ötz verläuft unspektakulär und bis auf einige versichernde Nachfragen, ob das heute denn tatsächlich eine gute Idee gewesen wäre, bereiten wir uns schon seelisch auf die erste „Bodenwelle“ (Copyright Franz Venier) des Tages vor.
(Sölden – Ötz: 46:00,6 – knapp 3 Minuten langsamer als 2012)

Morgen: Nässe, Kälte, Wahnsinn.

Ötztaler 2013 im TV

Hallo!

Gerade enteckt: morgen, Samstag, 7.9.2013 um 10:30 Uhr auf Servus TV:
Ötztaler Radmarathon 2013 (http://www.servustv.com/cs/Satellite/Article/%C3%96tztaler-Radmarathon-2013-011259525881031).

Und nach einer stressigen und arbeitsreichen Wochen gibt’s dann ab Montag endlich auch meinen persönlichen Rennbericht. Was lange währt, wird endlich gut! 🙂

Greetz
Richard

Lückenfüller

Grias eich!
Der Bericht vom Ötztaler verzögert sich arbeitsbedingt noch ein wenig. Sorry. Bis zum Jaufenpaß bin ich schriftlich schon vorgedrungen.

Zwischendurch ein Video vom Tannheimer Radmarathon, das mir mein Bruder gerade geschickt hat:
http://youtu.be/4AuuLe2rWOg?t=2m3s

Bei Minute 2:12 könnt ihr sehen, wie vorbildliche Helferleistungen für den Käptn aussehen – perfekter Windschatten, wie aus dem Lehrbuch! 

Sonst kommen mir schön langsam die ersten Ideen für 2014 in den Kopf und nachdem es letztes Jahr nur ein paar Stunden gedauert hatte bis ich mir einen neuerlichen Antritt vorstellen konnte, waren’s dieses Jahr immerhin ein paar Tage… 

Nochmals sorry für die Verzögerung – ich will nichts versprechen, das ich nicht halten kann, aber Donnerstag sollte ich Teil 1 des Berichts online haben.

Greetz
Richard

Auswertung Ötztaler 2013

Hallo!
Ein wenig wird es noch dauern bis ich die passenden Worte für letzten Sonntag gefunden habe. Einstweilen vertröste ich euch mal mit der Auswertung des diesjährigen Ötztalers.

Im Verlgeich zum Vorjahr:
Trotz schnellerer Zeit bergauf nach Kühtai, wetterbedingt bis Innsbruck ca 20 Minuten hinter der Zeit von 2012. Der Abschnitt Innsbruck – Brenner war dann in etwa genauso schnell wie im Vorjahr, bis Gasteig dann wegen Trikotwechsel noch einmal 5 Minuten aufgerissen, aber dann sukzessive schneller als beim letzten Antritt, was am Ende dann eine Zeit von 11:37:36,1 bedeutete – 23 Minuten schneller als im Vorjahr, ohne Stress an den Labestationen und obwohl es dieses Jahr schwieriger war überhaupt ins Ziel zu kommen. Ich kann also durchaus zufrieden sein.

Zusammengefasst sieht der ganze Wahnsinn dann so aus:
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Name Richard Taborsky
Startnummer 978
Land/Ort A-Wien
Kategorie Männer / Uomini AK
Startzeit 6:49.13,0
Zielzeit 18:26.49,1
Fahrzeit 11:37.36,1
Durchschnitt 20,470 km/h
Rang Gesamt 1567.
Rang Kategorie 365.

Durchgangszeiten auf der Strecke

Stelle Tageszeit

Fahrzeit

Rang

Gesamt

bis Oetz 7:35.13,6

46.00,6

407.

1824.

bis Kühtai 9:04.35,5

2:15.22,5

381.

1596.

bis Innsbruck 10:19.35,7

3:30.22,7

398.

1767.

bis Brenner 11:47.47,7

4:58.34,7

378.

1652.

bis Gasteig 12:38.25,4

5:49.12,4

402.

1816.

bis Jaufenpass 14:17.16,8

7:28.03,8

381.

1687.

bis St.Leonhard 14:52.10,1

8:02.57,1

382.

1712.

bis Timmelsjoch 17:49.04,9

10:59.51,9

380.

1628.

Bergzeitfahren Oetz-Kühtai 17.3km, Höhenunterschied 1200m

Fahrzeit 1:29.21,9
Durchschnitt 11,615 km/h
Rang Gesamt 1642.
Rang Kategorie 396.

Bergzeitfahren Innsbruck-Brenner 38.2km, Höhenunterschied 697m

Fahrzeit 1:28.12,0
Durchschnitt 25,986 km/h
Rang Gesamt 1456.
Rang Kategorie 349.

Bergzeitfahren Gasteig-Jaufenpass 21.6km, Höhenunterschied 1130m

Fahrzeit 1:38.51,4
Durchschnitt 13,109 km/h
Rang Gesamt 1399.
Rang Kategorie 333.

Bergzeitfahren St.Leonhard-Timmelsjoch 31.4km, Höhenunterschied 1759m

Fahrzeit 2:56.54,8
Durchschnitt 10,649 km/h
Rang Gesamt 1471.
Rang Kategorie 359. 

An dieser Stelle nochmals DANKE für die Gratulationen der letzten Tage und die zahlreichen positiven Rückmeldungen auf dieses Machwerk.

Richard

Danke!

Hallo!

Was soll ich nach einem Tag wie dem heutigen sagen? Eigentlich fehlen mir die Worte und das hat nicht nur mit den äußeren Umständen des diesjährigen Ötztalers zu tun. Wie hart es dieses Jahr war belegen folgende Zahlen: 4500 Startplätze wurden vergeben, etliche Startberechtigte haben schon in der früh darauf verzichtet sich das anzutun, viele mußten aufgeben und ins Ziel kamen dann nur exakt 2375 StarterInnen.

Auch dieses Jahr bin ich überwältigt über euer Interesse an dieser Geschichte, eure Nachrichten, Aufmunterungen, Anfeuerungen, das Mitfiebern und Mitleiden daheim und – nachdem das Ganze heute ja gut ausgegangen ist – eure Gratulationen.
DANKE!

Nur kurz zum Bewerb:
Regen, Regen, Regen… um den Spruch des Käptns zu stehlen: wenn ich eine anhätte, wär ich bis auf die Unterhose naß. Komplett durchnäßt und frierend stürzten wir uns in die Abfahrt Richtung Innsbruck – eine grenzwertige Erfahrung und eigentlich komplett irrsinnig. Am Brenner hat es dann aufgehört zu regnen, aber wenn die Schuhe einmal schwimmen, dann bleiben die Füße auch bis zum Ende naß. Herrlich. Am Jaufenpaß ging mir dann erwartungsgemäß der Käptn abhanden, zu dem ich auf der Labestation wieder aufschließen konnte. Abfahrt vom Jaufenpaß war wieder trocken und hat Spaß gemacht. Timmelsjoch ist jedes Mal eine besondere Erfahrung – auch dieses Mal. Nach der Paßhöhe noch die letzten Körner verbraten und dann glücklich, aber komplett erledigt ins Ziel.

Fazit, so kurz danach: Ziel von unter 10 Std war bei der Witterung nicht machbar – freue mich aber darüber meine Zeit vom Vorjahr deutlich unterboten zu haben… trotz der widrigen Umstände. So schlecht kann die Form also nicht gewesen sein. Und so bleibt ja auch eine Aufgabe für 2014 über… auch wenn ich mir eine neuerliche Teilnahme am Ötztaler heute nicht vorstellen kann. Andererseits glaube ich mich erinnern zu können, daß ich sowas ähnliches auch schon letztes Jahr direkt nach dem Bewerb gesagt hab…

Gute Nacht aus Sölden, DANKE auch an den besten Käptn (die Erinnerung an das heute kann uns niemand nehmen!) und nochmals vielen Dank an euch alle – ihr habt euer Mosaiksteinchen dazu beigetragen, daß ich mir morgen meine zweites Finisher Trikot abholen darf!
Richard

 

We are the Champions – die ersten Reaktionen

Liebe freundenstrahlende Daumendrücker,

„Ich bin sowas von im Arsch“, lautete die entwaffnend ehrliche Antwort von Richi im Ziel auf die Frage nach seinem Befinden. „Aber verdammt glücklich.“ Recht hat er, bis auf einen kleinen Hungerast beim letzten Anstieg verlief alles mehr oder weniger nach Plan bei dem nasskalten Wetter in Tirol. Am Ende belegt er Platz 1567. in 11:37:36,1 Stunden, während Käpt`n Gregor Schnäbele die Ziellinie ein wenig schneller, genauer in 11:29:03,9, überquerte.

Wenn man bedenkt, dass es 4000 Startet gibt und an die 1000 (!) wegen dem Wetter aufgeben mussten, ist diese Leistung noch höher einzuschätzen. Jetzt geht es für die Beiden in die Pension, unter die Dusche und dann zum Essen. „Das wird ein Pasta-Massaker“, so der einhellige Tenor. Da bliebt mir nur mehr zu sagen, Mahlzeit!

Und weil Sie es sich verdient haben:

http://www.youtube.com/watch?v=04854XqcfCY